Fluchtwege

Wer heute Mauern baut
bricht sich morgen
sein eigenes Genick.
Dann gibt es vielleicht
keinen Weg mehr hinaus.

Darum grabt die Tunnel
setzt die Segel
öffnet die Grenzen
springt über Schatten
und geht aufeinander zu.

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Geschrieben im Rahmen der „stalywo“ (Stachelviehs lyrische Woche); der Impuls lautete „Fluchtwege“

Heimat

Ich will dir Heimat sein
dein sicherer Ort
an dem du bist wer du bist
und niemand sein musst

Ich will dein Zuhause sein
dich wärmen, für dich da sein
dir zuhören, vertrauen
mit dir sein wer wir sind

Sei du meine Heimat
mein Hafen, mein Zuhause
nimm mich wie ich bin
und sei mit mir ein wir.

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Geschrieben im Rahmen der „stalywo“ (Stachelviehs lyrische Woche); der Impuls lautete „Heimat“

Viel lieber

Viel lieber
ließe ich mich treiben
von heute nach morgen
mit jedem Schritt weiter
wohin der Wind mich trägt
und die Sehnsucht mich zieht
als einziges Ziel
glücklich zu sein.
Was könnte es
wichtigeres geben?

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Geschrieben im Rahmen der „stalywo“ (Stachelviehs lyrische Woche); der Impuls lautete „Ziele“

Fremd

solange wir nicht
hinsehen
zuhören
anfassen
riechen und schmecken
mit allen sinnen wahrnehmen

und uns einlassen
auf neues
unbekanntes
aufregendes
auf abenteuer
und auch auf angst

werden wir einander
fremd bleiben

und vielleicht
wird uns eines tages
etwas fehlen.

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Geschrieben im Rahmen der „stalywo“ (Stachelviehs lyrische Woche); der Impuls lautete „fremd“

Vollendung

Mit kleinsten Schritten
die alten Wege entlang.
Mehr stehend als gehend
und immer tastend nach Halt.
Es ist das letzte Mal:
die Füße tragen sie nicht mehr.
Sie hat ihr Leben umrundet
sie darf nun gehen.

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Geschrieben im Rahmen der „stalywo“ (Stachelviehs lyrische Woche); der Impuls lautete „Schritte“

Jetzt nicht aufgeben

Du hast einen Wunsch
für etwas, das dir gut tut
das dir hilft
das dich weiter bringt.

Du machst einen Plan,
überlegst und wägst ab
alle Widrigkeiten und Eventualitäten
alle Wenns und Vielleichts.

Du fasst Mut und dir ein Herz
du nimmst mit
was du brauchst
du gehst los
voller Hoffnung und Zuversicht
du vertraust auf dich
und andere —

Und da sind sie wieder
die Hürden, die Hindernisse
die Steine im Weg
die dich zum stolpern bringen
die mit den scharfen Kanten
an denen Seifenblasen
wie Träume zerplatzen.

Jetzt nicht aufgeben
den Plan und den Wunsch
ist so viel schwerer
als beim ersten Mal.

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Geschrieben im Rahmen der „stalywo“ (Stachelviehs lyrische Woche); der Impuls lautete „Losgehen“

Zwischen zwei Stationen

Zwischen zwei Stationen
sind wir uns begegnet,
trafen sich unsere Blicke,
tat sich ein Fenster auf
und ich konnte sie sehen:
deine Traurigkeit,
so unermeßlich groß,
dass meine Tränen liefen.
Dann warst du weg.
Vielleicht hat dich mein Trost
in deinem Herzen noch erreicht.

Das Wir, das ich bin

Ich habe einen Traum
in dem ich die bin,
die ich sein würde,
wenn ich wünschen könnte,
ich zu sein.

Das Leben hatte einen Plan
in dem ich die sein muss,
die ich bin,
weil wünschen nicht reicht,
ich zu sein.

Ich bin mir fremd
und tief vertraut,
ein schief gelaufener Traum
von der, die ich
gewünscht hätte zu sein.

Ich lernte zu leben
als ich, die ich bin
und weiter zu träumen
von mir und mir
als ein Wir, das ich bin.

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(inspiriert von „Há uma música do povo“ von Fernando Pessoa, gesungen von Mariza)

Herbstabend

Der letzte Abend im Oktober.
Es riecht nach Herbst,
nach nassem Laub und welken Blüten.
Die Sonne wärmt nicht mehr,
sie übergibt die Kraft nun an die Nacht.

Der Wechsel der Zeit
von hell zu dunkel
und draußen zu drinnen,
von einem Jahr zum nächsten —
ich halte inne und blicke zurück.

Ich weiß, es war gut.
Neues entstand und Altes verging,
Mühe und Schmerz nicht umsonst.
Mit Zuversicht gehe ich weiter
den nächsten Wechsel im Sinn.

Und doch liegt dahinter
eine leise Melancholie.
Ich sehe, wie einst Blühendes
schon bald wieder vergeht,
wie Träume sich ändern,
weil etwas fehlt,
wie das, was hätte sein können
nicht sein konnte im Jetzt.

Beide Seiten des Lebens,
die warme und die kalte,
die mutige und die verzagte
die glückliche und die traurige:
Vertraute einander und immer in mir.

In der Tiefe

In der Tiefe des Loches,
das der Schwarze Hund mir gräbt,
gibt es keine Worte mehr
und kein Fühlen
alles Wollen und Können
gerät außer Sicht und Reichweite.

Gedanken drehen im Kreis
sind nicht zu greifen
ziehen mich mit hinein.

Ich bin machtlos
zerfließe im grauen Nebel
weiß nichts mehr
bin nicht mehr da

Schutzlos

Die dünne Haut
über dem Eis
wärmt nicht
schützt nicht
hält nicht.

Das Herz
erfriert
bevor es schmilzt
und bricht
und legt
das Innen bloß.

Oktober

Den Sommer behalten
mit all seinen Farben
und dem Leuchten

Noch einmal mit Wärme
die Seele umhüllen
und alle Sinne mit Glück

Tief im Herzen speichern
und später im kalten Winter
nicht aufhören zu sein

Am Ende des Tages

Am Ende des Tages
sagen zu können

dass es gut ist
noch da zu sein

ist oft so viel mehr
als ich zu Beginn erhoffte.

Du sagtest

Du sagtest
du hättest mich lieb
aber da seien
keine Schmetterlinge
darum könntest du
mich nicht lieben.

Du gingst
und nahmst mit deiner
auch meine Liebe fort.

Und für einmal fügt es sich

Und für einmal
fügt sich eins ins andere
wie die letzten Teile
in einem Puzzle
wenn du endlich
das ganze Bild sehen kannst
und du fühlst und weißt
dass all die Anstrengung der Vergangenheit
nicht umsonst war.

Du atmest, ein und aus
und gehst weiter
und bist zufrieden
für einmal.

Gib mir

Gib mir deine Last,
ich trage sie für dich.
Gib mir deine Tränen,
ich weine sie für dich.

Gib mir deine Trauer,
ich wandle sie für dich
in heilende Erinnerung
an Tage reinen Glücks.

(Für D. mit Herz und Liebe)

Schmerz

Schmerz
durchstreift meinen Körper
auf der Suche
nach Rissen
alten und neuen
die die Angst
die Wut und
die Verzweiflung
in mir auf mir
hinterlassen haben
wo er sich jetzt
festhaken kann
auf dass ich
nie vergesse.

Hoffnung

Eigentlich
ist da keine Hoffnung
dass es gut wird irgendwann.
Da ist nur Sehnsucht danach
hoffen zu können.

Darum tu ich so
als hätte ich Hoffnung,
damit die Sehnsucht
mich nicht erdrückt
bevor ich wieder hoffen kann.

Waage des Lebens

Zugleich am gleichen Ort
waren wir nur ein einziges Mal:
da war ich klein
und du schon nicht mehr da.

Gesprochen miteinander
haben wir nie,
auch kein einziges Mal
uns berührt, umarmt.

Doch mit den Jahren
die vergingen,
fand ich dich
in meinen Worten.

Wir beide tragen schwer
an unseren tiefen Seelen
und wissen um die süße Bitternis
der Melancholie.

Heute bin ich alt
und du schon lange weg,
dein Sehen, Fühlen, Denken aber
lebt weiter und neu in mir.


Für meinen Großvater, den Hamburger Dichter und Lyriker Wilhelm Luetjens (gest. 1961), von dem ich mir den Titel des Gedichtes geborgt habe.

Sehnsucht, undefiniert

Sehnsucht, undefiniert.

Das Meer kommt darin vor
eine Hand in meiner
und vertrautes Schweigen.
Der Rest bleibt vage
mein Herz trägt nicht mehr.

Melancholie weht sacht im Sommerwind.

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